
Wegebereiter
Das Toggenburg brachte Persönlichkeiten hervor, die weit über das Tal hinaus wirkten. Einer von ihnen ist Huldrych Zwingli, 1484 in Wildhaus geboren. Er entstammte einer wohlhabenden Bauernfamilie, die ihm eine gute Ausbildung ermöglichte. Nach Studien in Wien und Basel und ersten Jahren als Priester in Glarus und Einsiedeln wurde er 1519 Leutpriester am Zürcher Grossmünster. Dort begann er, die Messe in deutscher Sprache zu halten und den Gottesdienst neu zu gestalten. Symbolhaft gilt das „Wurstessen“ am Fastensonntag 1522, bei dem er öffentlich gegen kirchliche Fastengebote auftrat. Zwingli stellte die Bibel über kirchliche Traditionen, wandte sich gegen Zölibat und Heiligenverehrung und prägte eine Bewegung, die die Schweiz nachhaltig veränderte. 1531 fiel er in der Schlacht von Kappel – ein Zeichen dafür, wie eng religiöse Reform und politische Konflikte damals verbunden waren. Sein Geburtshaus in Wildhaus ist bis heute erhalten und als Museum zugänglich.
Ulrich Bräker, 1735 in Wattwil geboren, hatte einen völlig anderen Lebensweg. Aufgewachsen als Ziegenhirt in ärmsten Verhältnissen, erhielt er nur rudimentäre Schulbildung. 1756 wurde er von preussischen Werbeoffizieren angeworben, floh jedoch nach kurzer Zeit wieder in die Heimat. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, handelte er mit Baumwolle und arbeitete für die Heimindustrie. Nebenbei begann er Tagebuch zu führen und sich autodidaktisch mit Literatur auseinanderzusetzen. Besonders bemerkenswert ist sein Interesse an Shakespeare, dessen Werke er kommentierte. 1788 veröffentlichte er seine Autobiografie Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des armen Mannes im Tockenburg. Sie beschreibt den Alltag von Bauern und Kleinhandwerkern im 18. Jahrhundert so eindrücklich, dass sie bis heute als eine der wichtigsten Quellen der Sozialgeschichte gilt. Er war zudem Mitglied der Toggenburgischen Moralischen Gesellschaft und damit in einem bürgerlichen Gelehrtenkreis verankert – ein aussergewöhnlicher Aufstieg für jemanden aus so einfachen Verhältnissen. Bräker gilt als Stimme des „kleinen Mannes“ und als Beispiel für literarisches Schaffen abseits der gelehrten Kreise.
Auch in Wissenschaft und Technik gibt es Namen von Gewicht. Jost Bürgi, 1552 in Lichtensteig geboren, wurde zu einem der bedeutendsten Uhrmacher und Mathematiker seiner Zeit. Ohne akademische Ausbildung entwickelte er präzise Uhren und astronomische Instrumente, die in ganz Europa nachgefragt waren. In Kassel arbeitete er für den Landgrafen Wilhelm IV., später am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Bürgi berechnete hochgenaue Sinustabellen, die Astronomen für ihre Arbeit dringend benötigten, und entdeckte unabhängig von John Napier das Prinzip der Logarithmen. Seine Verbindung von handwerklichem Können und mathematischer Theorie machte ihn zu einer Schlüsselfigur an der Schnittstelle von Technik und Wissenschaft.
Einige Jahrhunderte später machte sich Eduard Spelterini, 1852 in Bazenheid geboren, als Ballonfahrer und Fotograf einen Namen. Er erhielt seine Ausbildung in Paris und startete eine Laufbahn, die ihn als Pionier der Luftfahrt bekannt machte. 1898 überquerte er erstmals im Ballon die Alpen – eine riskante Unternehmung, die grosses Aufsehen erregte. Spelterini verband seine Fahrten mit Fotografie. Mit der Glasplattenkamera hielt er Städte, Täler und Gebirge aus der Vogelperspektive fest und schuf damit frühe Zeugnisse der Luftbildfotografie. Seine Bilder wurden international gezeigt und prägten das Bild der Alpen in einer Zeit, als Flugzeuge noch nicht verbreitet waren.
Pioniergeist zeigt sich im Toggenburg auch in jüngerer Zeit. Lichtensteig wurde 2023 mit dem Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet. Die Begründung: Der innovative Umgang mit Leerständen und die Förderung neuer Nutzungen im historischen Städtchen. Mit Projekten wie Pop-up-Läden, Coworking-Spaces und Kulturinitiativen wird Lichtensteig zu einem Labor für zukunftsorientiertes Leben und Arbeiten und zeigt, dass sich Tradition und Innovation miteinander verbinden lassen. Damit reiht sich die Stadt ein in eine lange Geschichte von Menschen und Orten, die aus dem Toggenburg heraus neue Wege suchten – in Religion, Literatur, Wissenschaft, Technik oder Gesellschaft.
Pioniere aus dem Toggenburg
Huldrych Zwingli, 1484 im oberen Toggenburg geboren, entstammte einer angesehenen Familie: Grossvater als auch Vater waren Landwirte und Ammänner von Wildhaus. Er absolvierte sein Theologiestudium in Basel, Bern und Wien – geprägt vom Humanismus.
Nach seiner Priesterweihe wirkte er zunächst in Glarus und später in Einsiedeln. 1519 trat er das Amt des Leutpriesters am Grossmünster in Zürich an. Dort begann er, die Bibel öffentlich auszulegen, was schliesslich die Zürcher Reformation einleitete.
Zwingli betonte die Autorität der Heiligen Schrift und lehnte kirchliche Traditionen wie Fasten, Zölibat und die Messe ab. Seine Ideen verbreiteten sich rasch – und veränderten das religiöse und politische Gefüge der Eidgenossenschaft nachhaltig.
Zwinglis Geburtshaus steht noch heute mitten in Wildhaus – eines der ältesten erhaltenen Bauernhäuser der Schweiz. Im Innern vermittelt ein kleines Museum Einblicke in seine Herkunft und Denkweise.
Ulrich Bräker wurde 1735 im Weiler Näppis bei Wattwil geboren. Er entstammte einfachen Verhältnissen, arbeitete als Ziegenhirt, später als Kleinbauer und Baumwollhändler – und wurde zu einer der bemerkenswertesten literarischen Stimmen des 18. Jahrhunderts.
Trotz minimaler Schulbildung entwickelte er eine grosse Leselust, begann früh, Tagebuch zu führen und hielt seinen Alltag akribisch fest. 1788 erschien seine Autobiografie «Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des armen Mannes im Tockenburg», in der er das Leben einfacher Leute eindrücklich beschreibt – einer sozialen Schicht, von der sonst kaum schriftliche Zeugnisse überliefert sind.
Bräkers persönliche Reflexionen und sein Ringen mit Glaubensfragen spiegeln die religiösen Strömungen seiner Zeit, besonders den Einfluss des Pietismus im Toggenburg. Seine Aufzeichnungen gelten heute als kulturelles Erbe – und als Quelle von unschätzbarem Wert für Historiker und Kulturwissenschaftler.
Jost Bürgi, geboren 1552 in Lichtensteig, war ein herausragender Uhrmacher, Mathematiker und Astronom – seiner Zeit weit voraus. Er entwickelte hochpräzise Zeitmesser für die Sternbeobachtung und berechnete Kalenderdaten. Die Logarithmen erfand er unabhängig von John Napier. Seine Instrumente waren in ganz Europa gefragt und sein Name steht bis heute für mathematische Präzision.
Eduard Spelterini, 1852 in Bazenheid geboren, gilt als Pionier der Luftbildfotografie
und Ballonfahrt. Als Erster überquerte er die Alpen im Gasballon und dokumentierte seine Fahrten mit Luftaufnahmen – damals eine Sensation, die in ganz Europa grosse Anerkennung fand. Bis heute hat das Ballonfahren im Toggenburg Tradition.
Dass die Region auch in der Gegenwart mutig weiterdenkt, zeigt ein Blick nach Lichtensteig: Für den kreativen Umgang mit Leerstand, das gemeinsame Weiterentwickeln der Altstadt und den Ideenreichtum im Kleinen erhielt das Städtli 2023 den Wakkerpreis.
