
Landschaft im Gleichgewicht
Das Bild des Toggenburgs wäre ohne seine offenen Wiesen kaum denkbar. Ursprünglich war die Region dicht bewaldet. Erst mit der Rodung durch den Menschen entstanden Weideflächen, Felder und Wiesen. Über Jahrhunderte wuchs daraus eine Kulturlandschaft, die heute als selbstverständlich erscheint – tatsächlich ist sie das Ergebnis einer langen und kontinuierlichen Nutzung.
Diese Landschaft ist von hoher ökologischer Bedeutung. Besonders wertvoll sind die extensiv bewirtschafteten Flächen: Magerwiesen, Streuwiesen und Alpweiden. Auf ihnen wachsen Pflanzenarten, die auf nährstoffarme Bedingungen angewiesen sind und anderswo kaum mehr vorkommen. Orchideen, Enziane und zahlreiche Kräuter bilden Lebensgrundlagen für Insekten, Schmetterlinge und Vögel. In einer einzigen traditionellen Wiese können dutzende Pflanzenarten nebeneinander bestehen – ein Reichtum, den intensive Bewirtschaftung innerhalb weniger Jahre zerstören kann.
Auch die Strukturelemente, die das Grasland durchziehen, sind Teil dieses Gefüges: Hecken, Feldgehölze und Trockenmauern bieten Nistplätze, Rückzugsräume und Orientierungspunkte. Sie verbinden Lebensräume miteinander und tragen so zum ökologischen Gleichgewicht bei.
Seit Jahrhunderten bilden diese Wiesen die Grundlage der Landwirtschaft im Toggenburg. Sie liefern Futter für das Vieh, sichern die Alpwirtschaft und sind damit auch die Basis für die Käse- und Milchprodukte, die zur Identität der Region gehören. Gleichzeitig prägt die Kulturlandschaft das typische Erscheinungsbild des Tales – offene Flächen mit gepflegten Matten, blühenden Wegrändern und Alpen, die über Generationen erhalten wurden.
Doch diese Vielfalt ist keine Selbstverständlichkeit. Werden Flächen zu intensiv genutzt, geht die Artenvielfalt rasch verloren. Bleiben sie ungenutzt, breiten sich Sträucher und Bäume aus und das offene Landschaftsbild verschwindet. Nur durch eine sorgfältige, dem Standort angepasste Nutzung kann das Grasland seine Rolle als Lebensraum, Wirtschaftsgrundlage und Kulturerbe erfüllen.
So sind die Wiesen im Toggenburg Ausdruck eines feinen Gleichgewichts – Ergebnis der Arbeit des Menschen und der Vielfalt der Natur. Sie zeigen, wie eng Kultur und Ökologie miteinander verflochten sind und wie viel Aufmerksamkeit es braucht, um diesen Reichtum zu bewahren.
Rasen, Weiden und Wiesen
Was hier wie unberührte Natur wirkt, ist in Wirklichkeit eine Landschaft, die über Jahrhunderte durch den Menschen geformt wurde.
Streuwiesen, Trockenwiesen, Magerweiden, naturnahe Wälder sowie Hecken und Trockenmauern sind wertvolle Lebensräume, die ohne die traditionelle Bewirtschaftung nicht bestehen würden. Auf den mageren Wiesen, Weiden und Rasen wachsen Pflanzen, die sich an nährstoffarme Böden angepasst haben.
Flachmoore bleiben nur an wenigen Standorten natürlich bestehen und werden gepflegt, damit sie nicht verbuschen. Biologisch intakt, gehören sie zu den letzten Rückzugsgebieten des Grossen Wiesenvögelchens, eines seltenen Schmetterlings, der in der Schweiz nur noch im Obertoggenburg in grosser Zahl vorkommt.
Viele dieser Lebensräume stehen unter Naturschutz und werden von Landwirten im Rahmen des ökologischen Ausgleichs naturnah bewirtschaftet.
Mit mindestens 1000 verschiedenen Pflanzenarten beherbergt die Region ums obere Toggenburg eine äusserst artenreiche Flora – ein lebendiges Mosaik aus blühenden Pflanzen, duftenden Wildkräutern und alpinem Reichtum.
Zu den botanischen Besonderheiten zählt der seltene Ostalpen-Enzian, der in der Schweiz nur im östlichen Churfirsten-Gebiet wächst. Abseits der beweideten Flächen erstreckt sich unberührte Vegetation entlang der Karrenfelder. Hier gedeihen genügsame Überlebenskünstler, die auf kargen Böden und im rauen Klima ihre Nische gefunden haben.
Neben dem farbenprächtigen Anblick sind diese Landschaften auch unverzichtbarer Lebensraum für zahlreiche Insektenarten, darunter spezialisierte Wildbienen und Schmetterlinge. Die Schweizer Goldschrecke, erst 1987 als bisher unbekannte Art entdeckt, kommt weltweit nur im Gebiet von Chäserrugg, Gamserrugg und Alvier sowie im Berner Oberland auf alpinem Rasen vor.
