Kunst am Fluss – Wie die Werke für den Thur- und Neckerweg Gestalt annehmen
Sie wachsen im Dialog mit dem Ort – und mit der Zeit. Die fünf Kunstwerke, die ab Herbst 2025 den Thur- und Neckerweg ergänzen, wachsen derzeit an verschiedenen Orten in Europa heran: in Werkstätten, Ateliers und künstlerischen Denkprozessen. Was sie verbindet: der Blick aufs Toggenburg, auf seine Geschichten, seine Klänge und seine Landschaften.
Speicher für Zeit, Geschmack und Gemeinschaft
In Bütschwil formt sich eine Skulptur unter der Erde – und darüber ein Ort der Begegnung. „Der Kollektive Bauch“, entwickelt vom Künstler:innen-Duo Suzanne Bernhardt und Philipp Kolmann, wird in Zusammenarbeit mit dem renommierten Lehmbauer Martin Rauch realisiert. Im Innern des Erdkellers reifen Lebensmittel langsam und natürlich – mithilfe von Mikroorganismen.
Über die nächsten zehn Jahre wird der Bauch mit neuen Rezepten und Geschichten gefüllt und mit der lokalen Gemeinschaft geteilt. Denn „Der Kollektive Bauch“ ist mehr als ein Speicher: Oberhalb der Erde entsteht ein Ort, der zum Austauschen und Teilhaben einlädt – ein Raum für gemeinsames Erleben und Nachdenken über das, was unter der Oberfläche geschieht.
Echo durch Raum und Zeit
Lütisburg liegt am Zusammenfluss von Thur und Necker – ein Ort, der mit dem Werk «Hydromyths» von Lucie Tuma in Form eines Soundwalks zum Klingen gebracht wird. Über Kopfhörer begleiten nachgesungene Vogelstimmen, Wassergeräusche und gesprochene Texte den Weg. Auch Stimmen längst ausgestorbener Vogelarten sind zu hören. Fünf Holzbilder in den Giebeln der historischen Letzibrücke greifen diese Erinnerung auf – sie zeigen eben jene verschwundenen Vögel.
„Hydromyths“ erzählt von Vergänglichkeit und vom Einfluss des Menschen auf die Natur. Es verbindet geologische Tiefenzeit mit zyklischen Rhythmen, lässt Jahreszeiten, Tageszeiten und Zeitschichten ineinanderfliessen. Ein Klangraum öffnet sich, der nachwirkt und daran erinnert, wie vergänglich Natur sein kann.
Zeichnungen im Fluss
Am Tüfenbach bei St. Peterzell führt ein schmaler Pfad über Sand, Fels und Nagelfluh zu einem mächtigen Findling im Flussbett. Anna Maria Fink macht diesen Weg zum Resonanzraum – mit feinen Markierungen, die in Beziehung stehen zum Wasser, zum Stein, zur Zeit. Ihre Arbeit «Herrgottsbeton» wächst aus der Landschaft heraus: Linien im Sand, Spuren auf Stein, Eingrif-fe von Hand, Maschine und Fluss.
Manche Zeichnungen bleiben bestehen, andere verändern sich – so wie das Gelände selbst. Der grosse Stein wird zum Spiegel des Wandels und der stetigen Bewegung: Wie bewegen wir uns durch diese Landschaft? Wann wird das Gehen zum Eingreifen und wann zum stillen Zuhören?
Licht als Sprache der Energie
Wie fühlt sich Energie an? Wie verändert sie den Raum – und die Wahrnehmung der Zeit? Beim Kraftwerk in Krummenau setzt die Künstlerin Mirre Yayla Séur genau dort an, wo Natur und Infrastruktur aufeinandertreffen. Ihre Installation verwandelt das Gelände in eine leuchtende Landschaft im Wandel: Uranglas-Skulpturen fangen Licht und Energie ein, UV-Strahlen bringen sie zum Glühen.
Das Glas nimmt Formen der Umgebung auf: Felsen, Moos, industrielle Elemente. Die Beleuchtung reagiert auf die Energieflüsse des Kraftwerks – eine Übersetzung von Strom und Wasser, von natürlichem Rhythmus und menschlichem Eingreifen. So verwandelt sich der Ort in einen Raum, an dem Energie nicht nur erzeugt, sondern sichtbar wird.
Parcours für die Sinne
Beim Thurfall in Unterwasser entsteht ein „Kulturparcours“ der anderen Art. In Anlehnung an Tarotkarten und Vitaparcours entwickelt marce norbert hörler sechs Bronzegusstafeln, die dazu einladen, sich dem Ort körperlich und sinnlich zu nähern – mit Bewegungen, Gedankenbildern, Handlungen oder Klängen.
Die Tafeln greifen das Spiel von Ebbe, Flut und Mondzyklen auf und eröffnen neue Erzählstränge zwischen Natur, Magie und Alltag. Mit der Zeit verändert das Wasser auch die Tafeln selbst – ihre Patina wird Teil des Werks. So wirken stille Impulse, die sich in den Ort einfügen, ihn aktivieren und immer wieder neu erfahrbar machen.
Ein Prozess mit Tiefe
Alle Arbeiten entwickeln sich aktuell parallel. Einige befinden sich im Experimentieren mit Materialien, andere kurz vor der Umsetzung. Bis zur Lancierung am 27. September 2025 soll jedes Werk seinen Platz gefunden haben – sichtbar, spürbar, erlebbar.
Der Thur- und Neckerweg wird damit zu einem Ort, an dem sich Kunst, Landschaft und Achtsamkeit verbinden. Ein Ort, der nicht nur begangen, sondern auch gehört, gesehen und empfunden werden will.
Ein Weg entsteht – Einblicke hinter die Kulissen
Der Thur- und Neckerweg ist eine Initiative von Toggenburg Tourismus, die gemeinsam mit regionalen Partnern umgesetzt wird. Viele Menschen tragen dazu bei, dieses Projekt zu verwirklichen – darunter Kunst- und Klangschaffende, Handwerksbetriebe sowie Unternehmen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung des Toggenburgs engagieren. Was bewegt diese Menschen, ein regionales Projekt wie den Thur- und Neckerweg zu unterstützen? In der Reihe „3 Fragen an“ lassen wir diejenigen zu Wort kommen, die das Projekt mitgestalten.
In unserer Interviewreihe „3 Fragen an“ geben wir Einblicke hinter die Kulissen – von der Entstehung der Installationen bis zu den Menschen, die das Projekt mitgestalten.
Im zweiten Teil unserer Serie sprechen wir mit Hanes Sturzenegger, Co-Leiter der Dogo Residenz für Neue Kunst in Lichtensteig. Er verantwortet die Produktion der Kunst- und Klangoasen innerhalb des regionalen Entwicklungsprojekts Thur- und Neckerweg und erzählt, wie Kunstwerke entstehen, die mit der Umgebung in Resonanz treten – und welche Rolle Geduld, Vertrauen und künstlerische Freiheit dabei spielen.
3 Fragen an: Hanes Sturzenegger, Co-Leiter der Dogo Residenz für Neue Kunst in Lichtensteig
Was ist für Sie das Besondere an den Kunst- und Klangoasen im Kontext des Thur- und Neckerwegs?
„Kunst kann Orte neu erzählen und vertraute Landschaften anders erfahrbar machen. Die Werke sollen etwas über die Orte sagen, an denen sie stehen – sie treten in Dialog mit ihrer Umgebung und eröffnen neue Perspektiven. Besonders spannend finde ich, dass die Werke nach der Fertigstellung zehn Jahre lang bestehen bleiben. Sie altern, verändern sich und schaffen in dieser Zeit neue Verknüpfungen mit der Landschaft und den Besucher:innen.“
Wie sind die Kunstschaffenden ausgewählt worden?
„Gemeinsam mit dem Kurator Johannes Reisigl und externen Berater:innen haben wir viele Dossiers studiert, Gespräche geführt, erste Entwürfe ausgewertet und schliesslich eine Auswahl getroffen. Uns war wichtig, Kunstwerke zu fördern, die vielfältige Perspektiven auf die Landschaft bieten und mit ihr interagieren. Dabei spielte auch das Potenzial möglicher Begegnungen eine Rolle – wie die Werke auf Besuchende wirken und welche Impulse sie schaffen können.“
Wie erleben Sie persönlich den Entstehungsprozess?
„Der Prozess ist intensiv und erfordert Vertrauen. Als Residenz konnten wir die Kunstschaffenden über mehrere Aufenthalte in der Region begleiten, was gegenseitig wertvolle Einblicke ermöglichte. Natürlich ist auch viel Koordination nötig, aber vor allem sind es die Begegnungen und künstlerischen Impulse, die mich anregen. Wir sind Toggenburg Tourismus dankbar für diese spannende Aufgabe.“